03.10.1998

Wenn die "Distel" ins Kapital sticht...


Die „Distel", das bekannte Berliner KabarettTheater, stach in„ Ellis Saal" in Weiterode vor ausverkauften Rängen. 340 Zuschauer lachten über den spitzzüngigen Humor der vier Polit-Kabarett-Künstler.

WEITERODE: „Das haben wir nicht verdient" ist die Meinung der „Distel", die, engagiert vom Förderverein „Ellis Saal", ihre Nordhessen-Tournee in Weiterode startete. Dagmar Jaeger, Edgar Harter, Stefan Martin Müller und Michael Nitzel machten ihrem Publikum in „Ellis Saal" klar, dass Kabarett selten übertreibe, vielmehr Wahrheiten transportiere. Und so wurde mit provokanten Texten im gut zweistündigen Programm nicht gespart.

Die Welt sei ein Rummelplatz geworden ohne jede Moral. Als Hauptgewinn winke ein Job, „vielleicht hat der Gewinner Glück und wird Toilettenreiniger auf dem Bahnhofsklo". Schwerpunkt des Programms, das vom Wechsel zwischen Gesang und Textbeiträgen lebte, war „Arbeit und Kapital".

Das Kapital beherrsche die Weltordnung und vermehre sich ständig auf Kosten der „kleinen" Bürger. Deshalb sei der abgewählte Kohl auch nur ein Trockenschwimmer „ohne Wasser im Planschbecken" gewesen. Denn Regierungen haben schon lange keine Entscheidungsgewalt mehr, so die „Distel". Dafür liege die Handhabe bei Grossbanken und Industrie („Die Musik spielt auf dem Dampfer der Unternehmer").
Das Kabarett-Ensemble gab auf der Bühne von „Ellis Saal" zu bedenken: „Bei Kohl ging es sanft und stetig bergab.. Aber der Schröder ist jünger." Überhaupt gehörte es zum aktuellen „Distel"-Klamauk, Kohl, „den Ernährer einer ganzen Kabarettgeneration", in den wohlverdienten Ruhestand zu verabschieden. Der deutsche „Einwegkanzler", der an seine Unsterblichkeit geglaubt habe, hoffe nun auf die Wiedergeburt. „Also Grüsse nach Oggersheim", stach die „Distel", „wie undankbar wir Deutschen doch sind." Die Befürchtung, dem Ensemble könne mit dem Regierungswechsel der kabarettistische Stoff ausgehen, bewahrheitete sich nicht („Schröder hat versprochen, die Arbeitslosen zu reduzieren. Er weiss aber nicht wie.").

Die hohe Arbeitslosenquote war auch für das „Distel" Quartett, das von Bernd Wefelmeyer am Klavier und an Keyboard und Violine von Hans der Geige begleitet wurde, Problem Nummer eins. Das neue „Mitbestimmungsmodell" wurde vorgestellt, „wer Arbeit haben will, kann mitbestimmen, wem er sie wegnimmt". Oder die Vision vom „Wirtschaftswunder Nummer 2", „Arbeit ist Luxus, und für Luxus muss bezahlt werden". Der logische Fehler im Denksystem sei, dass der Arbeitnehmer fürs Arbeiten bezahlt werde. Genau umgekehrt müsse es sein: „Wenn die, die noch Arbeit haben, für ihre Stelle zahlen, können Billiglohnländer in den Produktionskosten unterboten werden, und die deutsche Industrie kann wieder einstellen." Um die Arbeitslosen loszuwerden, wurde noch ein anderes Modell vorgestellt, „der Verkauf in die Dritte Welt". „So billig kommen Sie nie wieder auf Safari" ulkten die Berliner Kabarettisten.
Nach Hause gingen die Zuschauer aus „Ellis Saal" erst nach zwei Zugaben. Auch die Vorgruppe „Total Vocal" (Leiterin: Gabi Steinbach) aus Gilfershausen war nach ihren Liedern heftig beklatscht worden.
Verköstigt wurden die Gäste von den Weiteröder Landfrauen und von Mitgliedern des Fördervereins „Ellis Saal".
Am heutigen Samstag tritt die „Distel" im Obersuhler Bürgerhaus auf. Beginn: 20 Uhr.
Alexandra Koch
Quelle: HNA 03.10.98

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